„Die Lektionen der Vergangenheit wachhalten“ -

Dauerausstellung im Gedenkort Historischer Nordbahnhof Bochum eröffnet

 

Mit der Eröffnung der Dauerausstellung „Drehscheibe des Terrors“ ist der Aufbauprozessdes Gedenk- und Erinnerungsortes für die Opfer des Nationalsozialismus im Historischen Nordbahnhof Bochum zum Abschluss gekommen.

„Die Ausstellung zeigt auf eindringliche Weise, wie dieser Ort in der NS-Zeit zu einem zentralen Platz des Unrechts wurde“, sagte Bürgermeister Sascha Dewender, der Oberbürgermeister Thomas Eiskirch bei der Eröffnungsveranstaltung am Sonntag (19. Januar) vertrat. Erinnerungsorte wie der Nordbahnhof trügen angesichts eines wieder sichtbarer werdenden Antisemitismus dazu bei, „die Lektionen der Vergangenheit wach zu halten“ und „das demokratische Bewusstsein in unserer Gesellschaft zu stärken“.

Die Initiative Nordbahnhof Bochum ist das 32. und jüngste Mitglied im Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in NRW. Dessen Vorsitzender Stefan Mühlhofer beschrieb den Nordbahnhof in seinem Vortrag bei der Eröffnungsveranstaltung als typisches Beispiel für die Gedenkstättenlandschaft in Nordrhein-Westfalen, die sich aus vielen kleineren Institutionen zusammensetze. Eine große KZ-Gedenkstätte, wie in anderen Bundesländern, gebe es in NRW nicht.

 

Sascha Dewender (Bürgermeister der Stadt Bochum)
Ingrid Wölk
Ingrid Wölk (Vorsitzende Initiative Nordbanhof)

Der Nordbahnhof sei der einzige authentische Ort in Bochum mit direktem Bezug zu den Deportationen von Juden sowie Sinti und Roma aus Bochum in die Konzentrationslager und von Zwangsarbeitern und politischen Gefangenen nach Bochum, sagte die Vorsitzende der Initiative Nordbahnhof, Ingrid Wölk. Das Bild von der „Drehscheibe des Terrors“ liege der Konzeption der neuen Ausstellung zugrunde. Zentrales Element der Ausstellung ist eine Bodenprojektion, die die Namen von Opfern wie auf Schienen durch den Raum laufen lässt. Über eine Medienstation lassen sich Bochumer Orte des Terrors und Hintergrundinformationen zu Bochum im Nationalsozialismus abrufen. Wölk dankte der Stiftung der Sparkasse Bochum zur Förderung von Kultur und Wissenschaft, dem LWL-Museumsamt für Westfalen und der Landeszentrale für politische Bildung NRW für die Förderung der Ausstellung. Sie ist ab dem 26. Januar sonntags von 14.00 bis 17.00 Uhr geöffnet.

 

 

Mühlhofer fächerte in seinem Vortrag ein breites Aufgabenspektrum für NS-Gedenkorte auf. Eindringlich plädierte er für „wissenschaftliche Redlichkeit“ in der Erinnerungskultur: „Historische Wissenschaft ist Grundlage jeder Gedenkstättenarbeit.“ Die „Authentizität des Ortes muss geprüft und mit Quellen belegt sein“. Was sich nicht klar belegen lasse, „muss zwingend so benannt werden“. Mühlhofer forderte dazu auf, mit der Arbeit der Gedenkstätten „Schattierungen“ der Geschichte deutlich zu machen. Auf der Oberfläche sehe vieles „ganz einfach“ aus. Aber „je tiefer wir wissenschaftlich einsteigen, wird es immer grauer“. Nötig sei „Sachlichkeit statt Pathos und Sinnstiftung“.

In den Gedenkorten müsse es eine „offene Gesprächskultur“ geben, forderte Mühlhofer. „Es muss für die Besucherinnen und Besucher Redefreiheit auch für abweichende und irrige Meinungen geben.“ Sie müssten „erst einmal sagen können, was ihnen durch den Kopf geht“. Wenn wir sie durch den Besuch zum Nachdenken gebracht haben, „ist schon ganz viel erreicht“.

Eine weitere Herausforderung für die Gedenkstätten sei die Einwanderungsgesellschaft. Sie müssten sich für Debatten öffnen, „in denen die Großverbrechen des 20. und 21. Jahrhunderts abgewogen werden“. Dazu gehörten zwingend Grundkenntnisse zum Nahostkonflikt. „Dieses Thema wird uns nicht mehr loslassen“, sagte Mühlhofer. Gedenkstätten seien „seit ihrer Gründung Stachel im Fleisch der Gesellschaft“. Viele von ihnen seien aber „unzureichend personell und finanziell ausgestattet“ und lebten vom ehrenamtlichen Engagement. „Das wird auf Dauer nicht durchzuhalten sein“, warnte Mühlhofer. „Wir müssen ein höheres Niveau der Professionalisierung hinbekommen. Dafür brauchen wir Geld.“ Er erinnerte daran, dass die Gedenkstätten nur „einen minimalen Anteil“ an den öffentlichen Haushalten hätten.

Stefan Mühlhofer
Stefan Mühlhofer (Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in NRW)
Bodenprojektion im Ausstellungsraum
Bodenprojektion im Ausstellungsraum

 

Der Gedenkort, der im September 2021 im Eingangsbereich des Historischen Nordbahnhofs eröffnet worden war, spiele innerhalb der Bochumer Erinnerungskultur eine wichtige Rolle, betonte Wölk. Sie wies auf die Folgen fehlender hauptamtlicher MitarbeiterInnen hin. „Wir haben das erreicht, was uns mit nur ehrenamtlichen Kräften möglich war“, sagte sie. „Damit alleine kommt man nicht allzu weit.“ Um regelmäßige Öffnungszeiten der Ausstellung zu garantieren, Schul- und Bildungsprogramme zu erarbeiten und die begonnenen Forschungsarbeiten voranzutreiben, seien hauptamtliche Mitarbeiter vonnöten.

 

Auch die Kanzlerin der Ruhr-Universität Bochum, Christina Reinhardt, wies auf die prekäre finanzielle und personelle Ausstattung der Initiative hin. „Der Verein versucht mit allerwenigsten Mitteln, eine gute Arbeit zu leisten.“ Ihr Appell an die Stadtgesellschaft: „Wenn Sie Ideen, Zeit, Geld haben - der Verein kann es wirklich gebrauchen.“ Die Ruhr- Universität hat die Einrichtung des Erinnerungsortes Nordbahnhof mitinitiiert und gefördert.

 

Text: Claus Haffert

Fotos: Berthold Jäger

Christina Reinhardt
Christina Reinhardt (Kanzlerin der Ruhr-Universität Bochum)