„Richte nicht den Wert des Menschen schnell nach einer kurzen Stunde. Oben sind bewegte Wellen, doch die Probe liegt im Grunde.“ Den zitierten Sinnspruch von Otto von Leixner schrieb Else Hirsch am 3. März 1935 in das Poesiealbum ihrer Ex-Schülerin Hannelore Kronheim. Der Ergänzung „Gedenke manchmal Deiner Lehrerin Else Hirsch“ hätte es nicht bedurft. Hannelore (später Hannah Deutch) hat sie zeitlebens nicht vergessen. Während sie selbst das Glück hatte, dem NS zu entkommen, wurde Else Hirsch nach Riga deportiert und ermordet.
Am 3. Juli 1922 kam Hannelore als Tochter von Ella Kronheim, geborene Wittgenstein, und Alfred Kronheim in Düsseldorf zur Welt. 1924 erfolgte der Umzug nach Bochum, wo Alfred Kronheim die Geschäftsführung der Bochumer Filiale eines Kaufhauses (Ehape AG für Einheitspreise) übernahm. 1929 starb er als ein mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichneter Veteran des Ersten Weltkriegs. „Das war zu traurig für mich“, erzählte Hannah Deutch während eines Besuchs in Bochum 1999. Zum Glück hatte sie mit Berta Wittgenstein eine „wunderbare“ Großmutter, die sie großzog. Mit ihr und ihrer Mutter Ella lebte sie zunächst in der Bongardstraße 7 und dann – vom nationalsozialistischen Hauswirt nach dem Machtantritt der NSDAP gleich dort „rausgeschmissen“ – in der Luisenstraße 1. Ella Kronheim zog zeitweise aus Bochum fort und arbeitete in Bielefeld. Anfang 1939 ging sie mit dem Ingenieur Otto Mayer eine zweite Ehe ein. Gemeinsam mit ihm gelang ihr im August desselben Jahres die Flucht nach Chile. Berta Wittgenstein schaffte es nicht. Zusammen mit ihrer zweiten Tochter Johanna und deren Familie musste sie sich dem Transport nach Riga am 27. Januar 1942 anschließen.
Hannah Deutch verbindet glückliche Kindheitserinnerungen mit Bochum: Musikanten im Stadtpark, Schlittschuhlaufen auf dem Stadtparkteich, Rollschuhfahren auf dem Rathausvorplatz, Paternosterfahren im Rathaus. Nach Kindergarten und jüdischer Schule (wo sie überwiegend von Else Hirsch unterrichtet wurde) wechselte sie auf das Freiherr-vom-Stein-Lyzeum – bis 1937, als die Schule sich für „judenrein“ erklärte.
Die Einträge in ihrem Poesiealbum beginnen 1933, als sie elf Jahre alt war, und enden 1935, als sie dreizehn war. Die meisten stammen von jüdischen Freundinnen, jungen Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein, die, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen wie sie selbst, in eine ungewisse Zukunft blickten. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten hatte sich „alles“ verändert. Hannelores nichtjüdische Freunde ließen sie „links liegen“, wie sie selbst es formulierte. Sie schloss sich enger an ihre jüdischen an, mit denen gemeinsam sie die Freizeitmöglichkeiten nutzte, die die jüdischen Organisationen ihnen boten.
Von den Mädchen, die ihre Spuren im Poesiealbum hinterließen, konnten einige aus Deutschland fliehen, wie Erni Berg (später Ernestine Silbermann), Inge Salomon oder Senta Mischkowski (später Cann), andere, wie Netti Weißglas oder Ellen Simons, wurden deportiert und ermordet.
Den Novemberpogrom 1938 erlebte Hannelore Kronheim hautnah mit. Ihre Wohnung in der Luisenstraße lag ja in unmittelbarer Nähe der brennenden Synagoge. Ihr Zimmer sei „hell wie Sonnenschein“ gewesen. Anfang Februar 1939 entkam sie mit einem Kindertransport nach England. Mit 16 war sie eigentlich schon zu alt dafür. Eine Verwandte, die die Möglichkeit dazu hatte, hatte sie auf eine Liste gesetzt. Unterwegs kümmerte sie sich um kleinere Kinder auf diesem Transport, das jüngste erst fünf Jahre alt.
Hannah Deutch verbindet glückliche Kindheitserinnerungen mit Bochum: Musikanten im Stadtpark, Schlittschuhlaufen auf dem Stadtparkteich, Rollschuhfahren auf dem Rathausvorplatz, Paternosterfahren im Rathaus. Nach Kindergarten und jüdischer Schule (wo sie überwiegend von Else Hirsch unterrichtet wurde) wechselte sie auf das Freiherr-vom-Stein-Lyzeum – bis 1937, als die Schule sich für „judenrein“ erklärte.
Die Einträge in ihrem Poesiealbum beginnen 1933, als sie elf Jahre alt war, und enden 1935, als sie dreizehn war. Die meisten stammen von jüdischen Freundinnen, jungen Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsensein, die, aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen wie sie selbst, in eine ungewisse Zukunft blickten. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten hatte sich „alles“ verändert. Hannelores nichtjüdische Freunde ließen sie „links liegen“, wie sie selbst es formulierte. Sie schloss sich enger an ihre jüdischen an, mit denen gemeinsam sie die Freizeitmöglichkeiten nutzte, die die jüdischen Organisationen ihnen boten.
Von den Mädchen, die ihre Spuren im Poesiealbum hinterließen, konnten einige aus Deutschland fliehen, wie Erni Berg (später Ernestine Silbermann), Inge Salomon oder Senta Mischkowski (später Cann), andere, wie Netti Weißglas oder Ellen Simons, wurden deportiert und ermordet.
Den Novemberpogrom 1938 erlebte Hannelore Kronheim hautnah mit. Ihre Wohnung in der Luisenstraße lag ja in unmittelbarer Nähe der brennenden Synagoge. Ihr Zimmer sei „hell wie Sonnenschein“ gewesen. Anfang Februar 1939 entkam sie mit einem Kindertransport nach England. Mit 16 war sie eigentlich schon zu alt dafür. Eine Verwandte, die die Möglichkeit dazu hatte, hatte sie auf eine Liste gesetzt. Unterwegs kümmerte sie sich um kleinere Kinder auf diesem Transport, das jüngste erst fünf Jahre alt.
In England baute sie sich ein neues Leben auf. Sie war allein und musste die Sprache erst erlernen. Das jüdische Komitee unterstützte sie und finanzierte ihr eine Ausbildung als Krankenschwester. Als solche schloss sie sich 1941-44 der britischen Armee an. England hatte sie aufgenommen und war zu ihrem Zuhause geworden. „Ich kämpfte gegen das Land, in dem ich geboren worden bin“, stellte sie rückblickend fest. Beim Militär lernte sie einen kanadischen Soldaten kennen. Die beiden heirateten und zogen nach Kanada. 1945 wurde ihr erster Sohn geboren, 1947 ihr zweiter. Ihr Ehemann starb 1949 an den Spätfolgen einer Kriegsverletzung. 1962 emigrierte Hannah Deutch nach New York. Sie trat verschiedenen jüdischen Organisationen bei, wie den JWV (Jewish War Veterans) und dem National Museum of American Jewish Military History. Bis ins hohe Alter hinein blieb sie aktiv und begriff es als ihre Aufgabe, über den Holocaust zu berichten, auch und besonders in Schulen.
1995 gehörte Hannah Deutch zu der Gruppe ehemaliger Bochumer und Wattenscheider Jüdinnen und Juden, die die offizielle Einladung der Stadt Bochum zu einem Besuch ihrer ehemaligen Heimatstadt annahmen. Dabei durfte ich sie kennenlernen und bei zwei weiteren Besuchen einige Jahre später die Bekanntschaft vertiefen. Hannah ließ ihre Bochumer Zuhörer*innen an ihren Erinnerungen teilhaben. Zu einigen entwickelte sie freundschaftliche Beziehungen. Durch ihre Erzählungen verbreiterte sie unser Wissen über die alte jüdische Gemeinde Bochums. Sie brachte Fotos mit, die wir mit ihrer Erlaubnis duplizieren konnten. Und sie hatte ihr Poesiealbum dabei, das sie hütete wie einen Schatz. Sie half bei der Identifizierung von auf Gruppenfotos abgebildeten jüdischen Kindern und Jugendlichen. So konnten wir vielen uns bisher Unbekannten ihre Namen zuordnen. Auch nach den Besuchen hielt sie den Kontakt. Dabei trieb sie der Wunsch an, was Bochum betrifft, auf dem Laufenden zu bleiben.
Am 3. Juli 2022 wird Hanna Deutch, geborene Kronheim, 100 Jahre alt. Dazu gratulieren wir als Initiative Nordbahnhof e.V. sehr herzlich!
Ingrid Wölk